Bipolare Erkrankungen im Alltag

Mask Facade Sad Smile Face  - geralt / Pixabay

Ein von mir abgekupferter Spruch lautet: „Patienten halten sich leider nicht immer an die exakten Diagnosekriterien“. Tatsächlich ist es im Alltag oft nicht einfach wenn es um die Diagnosestellung geht. Zu den Diagnosekriterien sei auf den entsprechenden Eintrag unter dem Menü „Psychische Erkrankungen“ verwiesen.

Was macht die Diagnosestellung bei bipolaren Störungen herausfordernd?

Viele Patienten haben die Vorstellung, man müsse einfach eine Testung machen um eine definitive Diagnose zu erhalten. Ja, es existieren Test- bzw. Screeninginstrumente. Allerdings sind diese ja nicht zwingend notwendig für die Diagnose, sondern lediglich als Ergänzung zu betrachten. In Wahrheit sind fast alle psychiatrische Diagnosen entsprechend dem Diagnosekatalog ICD-10 „klinische Diagnosen“ was eben bedeutet, dass keine weiteren Untersuchungen gefordert werden. Ich habe es aber auch erlebt, dass dieses Prinzip umgedreht wird und dann manche Ärzte die Diagnose im Wesentlichen von den Ergebnissen bestimmter Testungen abhängig machen.

Wenn ich herausfinden möchte ob ein Patient in der Vergangenheit einmal eine manische bzw hypomane Episode durchlebt hat gehe ich in der Regel von einem „verzerrten Maßstab“ des Betroffenen aus. Was meine ich damit? Jemand der sich in einer manischen Phase befindet erlebt dies meistens als unproblematisch. Die Übergänge von einer leichten zu einer schweren Manie sind fließend. Wenn ich es gewohnt bin, oft wochen- oder monatelang außerordentlich leistungsfähig und zB auch kreativ zu sein werde ich früher oder später dies als meinen „Normalzustand“ definieren. Erst ein Abfall des hohen Energielevels und der wunderbaren Stimmungslage wird von den Betroffenen als krankheitswertig erlebt. Viele Patienten haben gar kein Interesse, aus der Manie herauszukommen und erleben dann den Druck der von Mitmenschen ausgeübt wird als sehr negativ. Nur ein bestimmter Anteil an Patienten hat so schwere Manien, dass eine (Zwangs-)Einweisung erfolgt und dann zumindest für kurze Zeit Medikamente verabreicht werden.

Welche Medikamente verschreibe ich?

Wie im allgemeinen Beitrag erwähnt, werden von der Fachgesellschaft an erster Stelle die Wirkstoffe „Lithium“ und „Valproinsäure“ empfohlen. Bereits hier klaffen Theorie und Praxis auseinander. Der Grund ist, dass man bei einer Behandlung zwischen ambulanten und stationären Patienten unterscheiden muss. Ich sehe die meisten Patienten in der Krankenhausambulanz oder in meiner Privatordination. Und bei einer Lithiumtherapie werden vor allem bei der Neueinstellung relativ engmaschige Blutkontrollen vorgeschrieben zur Spiegelbestimmung, auch andere Parameter wie zum Beispiel Schilddrüsenwerte sollten überprüft werden. In einer psychiatrischen Praxis besteht in den meisten Fällen aber keine Möglichkeit zur Blutabnahme vor Ort womit diese Untersuchung umständlich ausgelagert werden müsste. Üblicherweise erfolgen Neueinstellungen somit im Rahmen eines stationären Aufenthaltes. Bei dem Wirkstoff „Valproinsäure“ ist die Situation etwas besser, allerdings werden auch hier einige Untersuchungen empfohlen inklusive einer Spiegelbestimmung. Der Vorteil besteht in einer größeren therapeutischen Breite, das bedeutet, dass der wirksame und ungefährliche Wirkstoffspiegel im Blut einen größeren Bereich umfasst. Im Gegensatz dazu kann Lithium bei einer Überdosierung zu Vergiftungserscheinungen führen. 

Aber welche Substanzen bevorzuge ich nun? Meine persönlichen Favoriten sind die Wirkstoffe Aripiprazol und Quetiapin, also sogenannte atypische (moderne) Neuroleptika. Für schwere Krankheitsverläufe sind diese in vielen Fällen als alleinige Therapie unzureichend. Wie man sich vorstellen kann, gibt es auch zahlreiche Patienten mit leichteren Verläufen die auch nie stationär behandelt werden müssen. Bei den oben genannten Substanzen sind im Normalfall keine Spiegelbestimmungen notwendig. Dazu kommt, dass Aripiprazol keine Gewichtsprobleme verursacht und Quetiapin im niedrigen Dosisbereich meiner Beobachtung nach auch kaum. Als Alternative finde ich auch Lamotrigin interessant wobei hier die Datenlage schlecht ist und kein Schutz vor manischen Episoden zu erwarten ist. Zu Kombinationstherapien der genannten Substanzen gibt es wenig Evidenz was eigentlich verwunderlich ist, denn viele Patienten nehmen mehrere Präparate gleichzeitig ein.

Antidepressiva bei bipolaren Störungen?

Der „ideale“ Patient benötigt nur wenige oder gar nur ein einziges Medikament, dass gut wirksam und verträglich ist. Bei bipolaren Patienten könnte dies eben zB. Lithium oder Seroquel sein. Leider sieht die Realität anders aus und der Leidensdruck vieler Patienten vor allem in depressiven Episoden ist oft sehr groß. Aus diesem Grunde verschreibt man auch hier Antidepressiva obwohl gerade  diese Substanzen ein gewisses Potenzial haben, eine manische Episode auszulösen. Ich befürworte einen pragmatischen Ansatz, d.h. wenn es Hinweise auf eine antidepressive Wirksamkeit und eine Linderung des psychischen Zustandes gibt halte ich eine entsprechende Medikation für angemessen. Trotzdem sollte die Einnahme immer kritisch hinterfragt werden vor allem auf längere Sicht.